· 

Alkoholfrei

Ein Jahr ohne Promille

Am 12. Juli letzten Jahres habe ich beschlossen, ein Jahr lang keinen Alkohol zu trinken. Das habe ich geschafft. (Es gab nur eine bewusste Ausnahme im Januar diesen Jahres, weil ich in der Situation aus verschiedenen Gründen nicht die Kapazitäten hatte, diese Entscheidung entsprechend zu kommunizieren, zu argumentieren … etwas, was mir jetzt, ein halbes Jahr später, nicht mehr so schwer fallen würde wie damals. Im Grunde hätte ich da wieder neu anfangen müssen zu zählen, aber das hab ich nicht. Es hätte mich sehr demotiviert und da es wirklich die einzige Ausnahme blieb und nicht „einfach so passiert“ ist, sondern Stunden vorher absehbar auf mich zukam und in diesem Moment von mir bewusst entschieden wurde, habe ich es mir erlaubt).

Ich hatte verschiedene Gründe für dieses Jahr Abstinenz. Der vielleicht wichtigste war, dass mir auffiel, wie viel und wie regelmäßig ich getrunken habe – und wie viele Gedanken ich ans Trinken verschwendete. Und ans Nichttrinken, sobald ich mir mal vornahm, einige Tage oder ein paar Wochen nichts zu trinken.

Meine persönliche Geschichte mit dem Trinken ist, dass meine Mutter jahrelang schwer alkoholabhängig war und daran gestorben ist. Ich habe deshalb in meiner Jugend und lange auch als Erwachsene gar nicht oder sehr, sehr wenig getrunken. Es fiel mir auch oft schwer, betrunkene Menschen auszuhalten.

Und dann änderten sich meine Lebensumstände: Das Glas Rotwein am Abend wurde zur Gewohnheit. Bald waren es zwei, oft auch drei. Bald war jeder Abend solch ein Rotweinabend. Im Sommer auch mal mit Weißwein oder einem schönen Aperol oder ein, zwei Prosecco ... In unserer Kultur gehört Alkohol zu allem völlig selbstverständlich dazu: zum Feiern der schönen Momente, zum Entspannen, zum Frust, zur Trauer, zur Freude, zur Gemeinsamkeit, zur Einsamkeit …

Ich hatte mehrmals versucht, nur am Wochenende zu trinken. Das funktionierte nicht. Ich verhandelte in diesen Phasen fast täglich ab dem frühen Nachmittag mit mir selbst, ob es nicht doch legitim wäre, nur ein Glas, nur heute, nur ausnahmsweise? Ich versuchte, eine Woche nichts zu trinken oder einen Monat. Das klappte auch mehrmals. Aber direkt danach ging es wieder los: Im Handumdrehen war ich wieder bei meinen drei, vier Gläsern Wein am Abend. Sobald ich angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören. Nicht unbedingt bis zur Besinnungslosigkeit (das kam aber auch einige Male vor), häufig aber schon so, dass es deutlich zu viel war. Bei einem Glas blieb es fast nie. Am nächsten Morgen brummte der Kopf, es gab ab und an Tage, an denen ich richtig fertig war vom „Gläschen Wein“ am Abend vorher und an denen nichts passierte den ganzen Tag lang, als irgendwie durchzukommen bis … bis Abend war, und darauf: Prost, ein Gläschen Wein, heute wirklich nur eins ...

Mir fiel es sehr schwer, mich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass ich womöglich alkoholabhängig bin. Nachdem ich meine Mutter an diese Sucht verloren hatte, hatte ich mich so sicher gefühlt: Mir würde das nicht passieren, ich achtete ja darauf, viel mehr als die meisten anderen! Dass ich ein ungesundes Trinkverhalten hatte, war aber einfach klar. Gleichzeitig schreckte mich der Gedanke, ein „Nie mehr“ zu setzen. Nie mehr ein Glas Wein. Nie mehr einen Prosecco. Nie mehr. Würde ich das durchhalten? Ich hatte Angst. Aber ich wusste auch: Ich musste etwas tun. Ich wollte nicht so enden wie meine Mutter und alles um mich herum mit in den Abgrund reißen.

Der Entschluss „Ein Jahr ohne“ hat mich aus dieser Misere geholt. Ein Jahr war lang genug, um ernsthaft etwas zu verändern. Es brachte mir eine Pause von den ständigen Gedanken ans Trinken. Und es war erst einmal kein endgültiges und beängstigendes „Für immer“.

Die ersten Wochen ohne Alkohol waren echt schwierig. Ich habe gemerkt, wie sehr ich mich daran gewöhnt hatte, mich zu betäuben. Unangenehme Gefühle wurden leichter aushaltbar nach ein, zwei Gläschen, laute, störende Gedanken etwas gedämpft … diese Wirkung hat mir in den ersten alkoholfreien Monaten erschreckend stark gefehlt. Es gab mehrere Situationen, in denen es mir emotional sehr schlecht ging und ich wusste: Jetzt einfach eine Flasche Wein öffnen, und es würde mir kurze Zeit später viel besser gehen. Die quälenden Grübeleien würden ertränkt werden, die Gedanken schweigen. Ruhe im Kopf. Es gab Tage, an denen ich viel, sehr viel Kraft aufbieten musste, nicht zu trinken. Tage, an denen ich Angst hatte, es nicht zu schaffen. Doch nach ein paar Monaten wurde es einfach.

Ich mag es, alkoholfreie Ersatzprodukte zu trinken. Mir hat es geholfen, weil mit meinem Alkoholkonsum viele Situationen verbunden waren, die zu geliebten Gewohnheiten geworden sind: Am Feierabend aufs Sofa zu fallen und mir einen einzuschenken. Ein schönes Buch lesen und dabei an einem Glas Wein zu nippen. Film mit Knabbereien und einem Prosecco … Anstoßen mit lieben Menschen auf einen schönen Tag oder darauf, sich endlich mal wiederzusehen. Ein Glas Prosecco genießen zu einem besonderen Brunch ... Auf all das zu verzichten und stattdessen Tee oder Saftschorlen zu trinken, wäre mir schwerer gefallen. Ich weiß, das geht anderen nicht so. Viele macht auch gerade diese Nähe zur bisherigen Situation fertig und erschwert das Aufhören. Bei einer bereits bestehenden Abhängigkeit ist oft auch problematisch, dass alkoholfreie Produkte immer noch winzige Mengen an Alkohol enthalten können. Deshalb ist es nicht jedem Menschen möglich, seinen Konsum auf diese Weise umzustellen. Ich wollte nur sagen: Bei mir hat es so funktioniert.

Und jetzt? Ich werde weiterhin nichts trinken. Mal sehen, ob ich mir wieder Zwischenziele setze, vielleicht die Jahrestage der Abstinenz feiere. Mein Leben ist schöner ohne, und ich bin dankbar, dass es mir gelungen ist, und ich vorwiegend Support in meiner näheren Umgebung gefunden habe, nachdem ich mal damit angefangen habe, darüber zu sprechen und zu mir zu stehen. Die Peinlichkeit zu überwinden und auch auszuhalten, dass ich eine Situation unangenehm mache, weil andere Menschen sich durch meine Veränderung brüskiert fühlen (könnten). Die „Spielverderberin“ zu sein. All das hat sich gelohnt.

Falls ihr es auch versuchen wollt, wünsche ich euch von ganzem Herzen, dass ihr die Möglichkeit und den individuellen Rahmen findet, der für euch passt. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0