Heute ist es vier Wochen her, dass wir aufgewacht sind und der Ort, in dem wir leben, unwiderruflich verändert war. Wir selbst sind verschont geblieben, weil wir am Hang wohnen. Unser Haus steht unbeschadet. Aber überall um uns herum hat es viele Menschen schwer getroffen. Die Folgen sind längst noch nicht alle absehbar.
Die Zerstörung ist rundum fühlbar, sichtbar, zu riechen und zu hören. Alles ist anders. Aber ich will keine Bilder davon teilen. Niemandem nützt es, einmal mehr die Zerstörung zu sehen und das Leid, das daran hängt. Ich habe für euch dieses Regal fotografiert. Im vergangenen Jahr habe ich es in dem kleinen Secondhandladen Unikat im Ortsteil Gemünd erstanden, ich mag es sehr. Wie ihr seht, wohnen meine aktuellen Bücher darin (sonst nicht in Freilufthaltung. Nur für das Bild habe ich sie nach draußen gebracht, damit ihr im Hintergrund auch die immer noch so schöne Eifel mit einem leider nach wie vor verhangenen Himmel sehen könnt).
Der kleine Laden, in dem ich das Regal entdeckt habe, wurde zerstört. Das Haus, in dem er war, muss voraussichtlich abgerissen werden. Aber die Besatzung vom Unikat gibt nicht auf und hat schon andere Räume gefunden, um sich dort neu zu erfinden. Immer noch sind viele hier zwischen Entsetzen, Verzweiflung, Trauer, Aktivismus, Trotz, Mut, Wut und dem Ringen ums Begreifen hin- und hergeworfen. Menschen wiederholen seit Wochen dieselben Geschichten. Sie erzählen sie, um sich mitzuteilen. Sie erzählen sie, um selbst zu begreifen. Es ist schmerzhaft, das zu sehen und zu hören. Ich versuche, weiter zu schreiben und zu arbeiten, doch es fällt mir schwer. Die Arbeit am aktuellen Buch „Wir sehen uns im Gestern“ ist auch dadurch etwas verzögert worden (ihr seht es ganz oben im Regal noch als Dummie, doch dieser Tage wird es endlich in den Druck gehen!).
Ich will die Bilder vom Leid nicht teilen und von der Zerstörung. Niemand braucht sie hoffentlich, wenn es darum geht, das zu tun, was zu tun ist. Und wir können etwas bewegen. Damit meine ich
nicht nur, ganz praktisch die Menschen zu unterstützen, die in diesem Moment hier und schon lange überall sonst auf der Welt von dem betroffen sind, was vor allem wir in der westlichen Welt zu
verantworten haben. Ich bin dankbar für die Buchspenden für den Aufbau der Schulbibliothek, die mich aktuell in überwältigendem Maß erreichen. Dankbar, dass mein Mann und ich helfen können, ganz
praktisch, immer wieder. Ich bin dankbar, dass wir einander vor Ort helfen, ob es ums Schlammschippen ging oder darum, jemanden in den Arm zu nehmen, der nicht mehr konnte. Dass Menschen aus
meiner Familie Unbekannten helfen, das Nötigste zu bekommen, ein paar passende Schuhe oder Jeans …
Ich bin auch dankbar für alle, die in ihrem Leben auf soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz schauen. Für die, die Menschen unterstützen, die unter weniger glücklichen Umständen ins Leben
geworfen werden, von Unglück, Krieg, irgendwelchen Umständen betroffen sind, die sie nicht im Geringsten beeinflussen konnten. Ich bin dankbar dafür, dass Menschen hilfsbereit sind und
unterstützend, egal, in welchen Belangen. Denn ich bin sicher, dass wir nur so als Menschheit überleben: miteinander.
Uns allen muss endlich klar werden, dass unsere Entscheidungen, die Art, wie wir leben, was wir uns gönnen und worauf wir glauben „ein Recht zu haben“, das all das Auswirkungen hat auf viele andere Menschen, die niemals eine Chance auf solche luxuriösen Entscheidungen haben werden: wohin und wie oft ich in den Urlaub fliege, was ich heute esse und wie viel davon, was ich anziehe, was ich kaufe. Was ich wegwerfe und was ich repariere. Ob ich mich selbst verwirkliche mit dem, was ich tue ... All diese Entscheidungen sind relevant, sie haben Folgen. Nicht nur für mich selbst als Person. Sondern für viele Menschen, denen ich nie begegnen werde.
Doch ganz gleich, wie verantwortungsvoll wir in unseren Entscheidungen sind, was persönlichen Konsum und unser Leben im Konkreten angeht: Wir sind vor allem Teil eines Systems, das die Grundlage unseres Lebens zerstört. Wir haben die Verantwortung, dieses System zu verändern, mit allem, was wir tun. Mit unseren kleinen Entscheidungen und mit größeren. Im nächsten Monat mit einer Wahl, von der viel abhängen wird. Ich bitte euch darum, mitzumachen. Bitte vergesst nicht, was von uns abhängt.
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